Wenn ich das Wort "Abklärung" höre oder lese, muss ich immer noch lachen. Was wird denn bei solchen Abklärungen konkret klar? Am klarsten - und zu gleich am wenigsten beachtet - sehe ich danach, dass die Experten das Problem NICHT lösen können. Davon kann man gut mit lat./griech./engl. Fachwörtern ablenken. Dann meinen alle, das Problem habe nur das Kind.
Bei der "Abklärung" bekommt man eine "Diagnose"; dieses Wort heißt auf Deutsch: "Durchblick". Als Ich-kann-Schule-Lehrer untersuche ich natürlich sofort, welcher Art der Durchblick ist. Signifikant auffällig ist, dass ich meistens gar keinen Durchblick finde - und das wandelt die "Diagnose" dann - wenn wissenschaftliche Grundsätze gelten - sofort wieder in eine bloße Behauptung oder (griech.) "These" um. Oft ist es noch nicht einmal das. Wenn es aber alle dafür halten, dann WIRD es das. Dann bekommt manm selbst da immer mehr des Behaupteten, wo anfangs gar nichts war. So wirkt Suggestion.
Wenn man einem Kind "großes Störungsbewusstsein" und kleine Frustrationstoleranz unterstellt, dann sagt mir als Ich-kann-Schule-Lehrer diese Aussage, dass offenbar niemand wenigstens aus den Profikreisen, so geschickt mit den Talenten & Kräften des Kindes umgehen kann, dass er damit Einfluss gewann. Als erstes würde ich mir da nicht um das Kind sondern um die Fähigkeiten der Kollegen Sorgen machen und ihne natürlich dezent Hilfe anbieten. Ich kenne einige Schulleiter und höhere Vorgesetzte, die durchaus Störungspotential und erhebliche Frustrationstoleranzdefizite erkennen lassen. Seltsamerweise denkt aber bei ihnen niemand daran, sie "abklären" und als potentielle Autisten behandeln zu lassen. Autismus funktioniert in der Hierarchie offensichtlich nur nach unten und nicht nach oben.
Als ganz junger Lehrer hatte ich in der 4.Klasse einen Buben, der immer gleich weinte, wenn er einen Fehler gemacht hatte. Er hatte eine steile, enge, zittrige Schrift. Bei einem Wort hatte er einen Buchstaben ausgelassen. Er merkte es und wollte ihn noch einfügen, aber der passte nicht rein. Er war ganz verzweifelt. Ich sah es. Ich grinste und sagte ihm: "Seppi, ich befehle Dir hiermit, einen Fehler zu machen!" Er brauchte ein bisschen, aber dann grinste er auch. Von da an hörte er auf, seine eigenen guten Kräfte ständig in die Enge, ja in die (A)Engste zu treiben. Er ließ los - ich hatte es ihm ja befohlen. Stell Dir vor, da übernimmt ein Erwachsener, noch dazu ein Lehrer, die Verantwortung für einen Fehler von Dir! Hats Du sowas schon erlebt?
Als Ich-kann-Schule-Lehrer tät ich mich vor Deinem Jungen auf den Boden setzen, bloß damit ich zu ihm aufschauen kann. Und dann tät ich als erstes sagen: "Ui, bist Du groß!" und dann würde ich alle seine Talente - die schwächsten am meisten - gnadenlos bewundern. Und ich würde von ihm wissen wollen, wie sich jedes einzelne Talent dabei fühlt. Er müsster ja immer so etwas wie "sehr gut" sagen. Und dann tät ich ihm am Ende noch eine Standpauke loslassen, wie man so gute Talente so wenig loben kann. Sicher tät er mir dann versprechen, dass er seinen Talenten jeden Tag selber mindestens zehnmal sagt, dass er soie alle super findet und schon ganz neugierig ist, wie gut sie sich heute entwickeln werden. Die Kinder brauchen Euch Erwachsene als Vorbilder für einen guten Umgang mit sich selbst! Wie geht Ihr mit EUCH um?
Ich grüße herzlich.
Franz Josef Neffe
"Wenn ich Sie in dem Irrtum lasse, dass ich es bin, der Sie gesund macht, dann mindere ich Ihre Persönlichkeit!" Émile Coué