Wenn Mütter die Gewissenskeule schwingen

Moderatorin Hanna
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Blogbeitrag von Nathalie Sassine am 4. November 2015
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Eine Mutter erinnert ihren Sohn daran, wieso er sie zu respektieren hat. Nützlich oder kontraproduktiv?

Wer kennt das nicht? Wir bitten unseren Nachwuchs um etwas, das uns ziemlich selbstverständlich erscheint (bspw. Bei 5°C eine Winterjacke anzuziehen, statt des Kurzarm-T-Shirts) und das Kind kommt dir frech. Gaht's no? Denke ich mir und mache ihn darauf aufmerksam, dass er so nicht mit mir zu reden hat. Soweit, so altbekannt und nicht dramatisch.

Eine englische Mutter sah das aber gar nicht so und publizierte letzte Woche im Guardian (http://www.theguardian.com/lifeandstyle/2015/oct/24/a-letter-to-my-10-year-old-son-who-needs-to-hear-a-few-home-truths?CMP=twt_gu) A letter to … My 10-year-old son, who needs to hear a few home truths (Einen Biref an meinen 10-jährigen, der ein paar Heim-Wahrheiten hören muss). Und ja, er liest sich genau wie befürchtet. Ein paar Auszüge gefällig?

Ich habe dich 42 Wochen lang (aus-)getragen. Ich habe die letzten drei Wochen nicht mehr geschlafen und mir war die ersten drei Monate schlecht. Zwischendurch wurde ich so fett, dass ich jede Chance verlor, in einem Bikini je wieder gut auszusehen. Es machte mir aber nichts aus, ich hatte ja dich. In jeder Phase deines Lebens habe ich dir geholfen. Ich half dir, aufrecht zu sitzen, zu laufen und feste Nahrung zu dir zu nehmen. Ich verbrachte Stunden damit, dir Brei zu machen. Ich brachte dir bei, wie man auf die Toilette geht und verbrachte Jahre damit, Hosen zu waschen, die du dennoch vollgepinkelt hattest. Es machte mir aber nichts aus, ich schaute dir ja beim Wachsen zu.
Ich helfe dir, wenn du eine Prüfung hast, indem ich dich ermutige, zu lernen und dir anbiete, dich abzufragen.

Ich helfe dir, Ziele zu setzen und zu verstehen, was du tun kannst, wenn es nicht so gut läuft, obwohl du dann meist mir gegenüber ausflippst. Es macht mir nichts aus, denn ich will ja, dass du eine gute Ausbildung bekommst und lernst, Probleme zu lösen.

Und so weiter und so fort. Der Brief ist eine einzige Auflistung der mütterlichen Heldentaten, die diese Dame offenbar die letzten zehn Jahre geleistet hat. Heldentaten? Oder einfach Dinge, die der Job mit sich bringt? Oder anders gesagt: Ist das nicht unser aller verdammter Job? Auch der Väter?

Hebt eine solche Liste nicht die gesamte Hilfestellung, derer sich die Mutter so rühmt, komplett wieder auf? Schliesslich hat er nicht darum gebeten, nach 42 Wochen aus ihr rausgepresst zu werden und all die anderen Dinge sind ebenfalls nicht auf seinem Mist gewachsen.
Zynisch ist besonders ihr letzter Abschnitt: «Ich erwarte und möchte nicht, dass du dich jetzt schuldig fühlst...»

Deshalb habe ich ein paar Fragen an die Dame (und alle anderen Mütter, welche heimlich solche mentalen Listen führen):

Wo war der Vater, hat der GAR NICHTS getan?
Was ist an dieser Liste so speziell, was andere Mütter und Väter NICHT für Ihre Kinder tun?
Glaubt sie wirklich, sie hätten dadurch ein besseres Verhältnis? Ist es nicht sehr viel wahrscheinlicher, dass er möglichst bald abhaut und den Kontakt auf ein Minimum beschränkt?
Kein schlechtes Gewissen? Was denn sonst?
Ich rege mich über diese Zeilen so auf, weil ich sie nicht als Hirngespinnst abtun kann, da ich selber solche Mütter kenne. Und irgendwer muss es ihnen ja sagen, oder?

Was meint ihr? Darf / soll eine Mutter eine solche Liste führen? Oder gehört es auch zum Job, freche Antworten entgegenzunehmen?
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Du kannst den Blog auch auf der «wir eltern»-Website lesen unter:
http://www.wireltern.ch/artikel/blog-wenn-muetter-die-gewissenskeule-schwingen

goodie
Dabei seit: 12.11.2011
Beiträge: 3198
bin ehrlich grad etwas sprachlos über die Mutter....

[Dieser Beitrag wurde 1mal bearbeitet, zuletzt am 04.11.2015 um 11:59.]

„Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn Frieden ist der Weg."

Mahatma Gandhi
Blue64
Dabei seit: 20.08.2003
Beiträge: 1456
Tja, gute Nathalie, du verwendest das Wort, um das sich alles dreht: Job!

Ist "Mutter-sein" ein Job?

Nein, ist es für mich nicht. Hausfrau sein ist für mich ein Job.

Mutter sein ist für mich Fügung. Und ich nehme hier die Dinge so, wie sie anfallen. Und dass Kinder frech sind, gehört dazu, wie Kinder trotzig sind, wie Kinder aufmüpfig sind, etc. etc.

Aber es liegt bei mir, wie ich jeweils darauf reagiere - das, was Erziehung und Beziehung einzigartig macht, ist das Verhältnis Aktion:Reaktion.

Und was für mich auf gar keinen Fall dazu gehört, ist Macht auszuüben.

Klar setze ich Grenzen, aber immer versuche ich, dabei dennoch ein gewisses Mass an Respekt und Empathie meinen Kinder gegenüber zu wahren. Denn ich werde von ihnen immer genau das zurück bekommen, das ich ihnen zuerst entgegenbringe.




Ich denke, also bin ich hier falsch !
fraulein
Dabei seit: 26.10.2003
Beiträge: 1583
Ich habe den englischen Beitrag nicht gelesen, da mir vermutlich die sprachlichen Feinheiten entgehen würde, mein Englisch ist eingerostet. Dies vorweg.

Aufgrund der Auszüge ist mir nicht klar, wieso sich die gute Frau Sassine so aufregt:

Da stehen doch wunderbare ICH-Botschaften, es ist eine Aufzählung der Dinge, die diese Mutter erlebt hat. In diesem Auszug steht nirgendwo, dass der Vater nichts getan hat. Oder dass diese Mutter dies als Heldentat ansieht.

Aber weshalb unseren Kindern nicht mal sagen, was man tut, wieso man es tut und ihnen bewusst machen, dass man nicht alles als selbstverständlich erachten sollte. Wieso einem Kind nicht mitteilen, dass man trotz "Wunschkind" nicht automatisch alles hinnehmen möchte?

Ueber die Art und Weise, wie sie sich äussert, nun ja, hätte ja auch einfach ein privater Brief sein können, wenn es ihr einfacher fällt, sich so zu äussern. Ob er Erfolg hat? Wenn es der Mutter gut tut, dann hat es ja schon mal Erfolg gebracht.

Was mich ja zur nächsten Frage bringt.
Frau Sassine - da Sie ja solche Mütter kennen, hoffe ich doch, Sie haben diese Mütter direkt angesprochen und nutzen nicht einen Blog um IHRE Befindlichkeit öffentlich zu äussern.
Ein direktes Gespräch unter Erwachsenen hätte es dann doch auch getan, oder?



Partner, 4 Kinder mit teilweise Schwiegerkindern, aktuell 2 Enkel :-)
Stricken, Lesen und immer wieder an meinem Lieblingsplatz sitzen und den Bäumen zuhören.
RenaW
Dabei seit: 06.10.2005
Beiträge: 1792
fraulein, genau, treffend formuliert.

Blue64
Dabei seit: 20.08.2003
Beiträge: 1456
fraulein, ich denke, das wird bei Frau Sassine wohl schwierig sein: sie arbeitet zu 100%, kümmert sich um die Kinder zu 50%, macht den Haushalt zu 50% - da auch noch sich verbal mit anderen auszutauschen ...hm?! icon_cool.gif icon_redface.gif icon_wink.gif

Ich denke, also bin ich hier falsch !
yucca
Dabei seit: 08.02.2007
Beiträge: 3069
Wenn ich so eine Einstellung hätte, hätte ich auf Kinder verzichtet. Kinder sind nicht das Eigentum von den Eltern. Im moment ist die Kommunikation mit meinem Sohn auch nicht rosig. Trotzdem gibt es Grenzen die er einhalten muss. Zur Zeit braucht der Umgang mit ihm viele Nerven. Würde mir aber nie in den Sinn kommen ihm vorwürfe zu machen weil wir auf gewisse Dinge Verzichtet haben icon_smile.gif

Auch aus Steinen, die in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.
Nathalie Sassine
Dabei seit: 30.09.2015
Beiträge: 6
fraulein: Auch im englischen Beitrag wird der Vater ebenfalls nicht erwähnt, leider.

Ja, natürlich spreche ich mir bekannte Mütter auf so etwas an, der Blog ist nicht mein einziges Kommunikationsmittel.

Blue64: Es würde mich sehr interessieren, wo Sie gelesen haben, dass ich mich 50% um die Kinder und weitere 50% um den Haushalt kümmere. Wenn ich wirklich 20 Stunden (angenommen eine "Arbeitswoche" hat 40 Stunden) für den Haushalt bräuchte, würde ich wohl etwas falsch machen. Und wie man in Prozenten ausdrücken kann, wieviel man sich um die Kinder kümmert, ist mir schleierhaft. Aber offenbar stören Sie sich daran, dass ich 100% arbeite. Wieso eigentlich?
Universum
Dabei seit: 13.05.2013
Beiträge: 1515
Frau Sassine, offenbar mache ich in Ihren Augen etwas falsch. Ich habe deutlich mehr als 20 Stunden für unseren Haushalt. So mit Haus und Garten, vollwertig Kochen etc. Aber ist ja eigentlich egal. Soll doch jeder sein Leben so einteilen wie es für sich und die Familie stimmig ist..icon_wink.gif

[Dieser Beitrag wurde 1mal bearbeitet, zuletzt am 04.11.2015 um 14:18.]

Versprich nichts, wenn Du glücklich bist.
Antworte nicht, wenn Du wütend bist
und triff keine Entscheidungen wenn Du traurig bist.

Autor unbekannt.
Universum
Dabei seit: 13.05.2013
Beiträge: 1515
Und noch eine Bemerkung am Rande: einen Haushalt kann man durchaus so oder so führen. Ich habe Haushalte gesehen, die verdienen diesen Namen gar nicht. Nicht selten sind es genau diejenigen, die dann aber die sogenannten "nur Hausfrauen" als bünzlig abwerten.

Versprich nichts, wenn Du glücklich bist.
Antworte nicht, wenn Du wütend bist
und triff keine Entscheidungen wenn Du traurig bist.

Autor unbekannt.