Noten & Zeugnis Primarschule

Paps
ThemenerstellerIn
Dabei seit: 04.04.2011
Beiträge: 8
Als Eltern hat man ja Freude an guten Noten. Da kommt zuerst die Hürde, dass man die Punkte kriegt. Dann erhalten die Kinder im Zeugnis Noten.
Ich starte dieses Thema, weil mich folgendes Problem beschäftigt: Die heutigen Zeugnisse im Kanton Zürich haben eine Vorderseite und eine Rückseiten. Vorne sind die Noten, hinten sind die Kreuzchen, ob sich Junior auch nett verhalten hat und ob er brav aufgestreckt hat.
Nehmen wir nun mal an, ein Schüler hat in den Mathematik Prüfungen einen rechnerisch ermittelten Wert von 5.0 - also eher ein recht guter Rechner. Der Schüler ist aber halt ein Junge und findet den Unterricht etwas langweilig - beteiligt sich darum mässig am Unterricht.

Ja, der Leser ahnt es: das Kreuzchen auf der Rückseite des Zeugnisses ist also nicht bei +++ sondern eher im Minusbereich. Das stimmt ja auch. Zur grossen Empörung steht aber auf der Vorderseite eine 4.5. Auf Rückfrage beim Lehrer heisst es, das sei halt, weil sich der Schüler nicht genügend am Unterricht beteilige.

Persönlich finde ich das falsch. Ich gehe davon aus, dass die Trennung von Note und 'Beteiligung am Unterricht' bewusst gemacht wurde. Der Schüler kann es, dafür kriegt er die erarbeitete Note. Der Schüler verhält sich nicht so, wie erwünscht, darum das Minuskreuzchen.

Bevor ich jetzt weitere Gedanken einbringe, möchte ich mal wissen, was Ihr dazu denkt. Oder gibt es vielleicht sogar Weisungen des Volksschulamtes dazu?
Franz Josef Neffe
Dabei seit: 17.11.2006
Beiträge: 1021
Es wird höchste Zeit, dass wir lernen, die sog. Schülerzeugnisse erst einmal als Arbeitsbericht des Lehrers über sein Tun und seine Erfolge bzw. Misserfolge zu lesen.
In meiner Ausbildung zum Sonderschullehrer kam ich in der psychiatrischen Klinik auf die Idee, etwas zu untersuchen, was noch keiner untersucht hat: Mich interessierte, mit welchen Sätzen Schülerzeugnisse beginnen. Ich zitiere hier einmal die ersten Sätze der ersten vier Zeugnisse von Andi: „Andi hat sich noch nicht richtig eingelebt. - Andi hat sich immer noch nicht richtig eingelebt. - Andi hat sich noch nicht richtig eingefügt. - Andi hat sich immer noch nicht richtig eingefügt.“ Selbst ein Blinder kann nicht übersehen, dass es hier nicht um LERNEN geht oder gar Persönlichkeitsentwicklung sondern darum, jemand mit Pädagogik kleinzukriegen.
Die Geschichte ist bald 30 Jahre her.
Nun rief mich diesen Sommer eine junge Lehrerin an, die über ihrem Zeugnisschreiben verzweifelte. Mir war gar nicht bewusst, wie sehr man inzwischen das Zeugnisschreiben perfektioniert hat. Heute schreibt man alles mit dem PC; da haben massenhaft Sätze in "Schuldeutsch" Platz. Schuldeutsch ist eine noch perversere Abart der deutsche Sprache als Amtsdeutsch. Und für diese Zeugnisse gibt es schon vorformulierte Denkschablonen, darauf möchte ich aber hier nicht ausführlich eingehen. Nur den ersten Satz aus dem Jahreszeugnis 2012 einer 4.Klasse kann ich mir nicht verkneifen, zu zitieren: „Brigitte fügt sich gut in die Klassengemeinschaft ein.“
Als Ich-kann-Schule-Lehrer war es mir immer ein Bedürfnis und eine Freude, für meine Schüler Zeugnis zu geben und damit die Weichen für eine begonnene neue Entwicklung noch einmal deutlich dahin zu stellen, wo die sich entfaltenden Potentiale und Talente der Kinder auf dem Weg waren. Jedes Zeugnis ist immer zuerst ein Arbeitsbericht über die Arbeit des Lehrers - und es bezeugt leider allzu oft, dass dies weder den Lehrern noch sonst jemand bewusst ist und dass sich weder die Lehrer noch sonst jemand für die klaren diesbezüglichen Aussagen der Zeugnisse interessieren noch sie beachten noch irgendetwas daraus zu lernen beabsichtigen.
In unseren Schulen geht es mehr als zweihundert Jahre nach Aufhebung der Leibeigenschaft immer noch zuerst ums Einfügen und Unterwerfen und willig Mitmachen. Zeugnisse werden immer noch als hoheitlicher Akt der Staatsgewalt untertänig hingenommen und in keinster Weise auf die darin tatsächlich enthaltenen vielfältigen Informationen hinterfragt. Da geht es um noch viel größere Mankos als nur darum, ob die Noten vorne mit dem Kreuz hinten übereinstimmen. Ich kann nur ermutigen, das Hinterfragen fortzuführen, und wünsche guten Erfolg.
Franz Josef Neffe

[Dieser Beitrag wurde 1mal bearbeitet, zuletzt am 30.08.2012 um 01:08.]

"Wenn ich Sie in dem Irrtum lasse, dass ich es bin, der Sie gesund macht, dann mindere ich Ihre Persönlichkeit!" Émile Coué
jeruscha
Dabei seit: 30.12.2003
Beiträge: 1196
Nun ja, die mündliche Beteiligung im Unterricht gehört auch dazu. Wird meistens in mathematisch/naturwissenschaftlichen Fächern weniger gewichtet als in sprachlichen Fächern.
Drei meiner Söhne gehen in Deutschland ans Gymnasium, dort zählt die mündliche Beteiligung mindestens 50% für die Notengebung, in manchen Fächern mehr. Heftführung wird ebenfalls benotet. Da hilft auch nicht zu sagen es sind halt Jungs, bei meinen könnte ich noch anfügen, dass sie Autisten sind, da gewinnt die Problematik gerade noch eine neue Dimension.
Andererseits finde ich es absolut fair, wenn nicht nur die Leistung an ein paar wenigen Prüfungen über die Note entscheidet, sondern der Gesamteinsatz für ein Schulfach. Damit haben auch jene eine Chance, die sich einsetzen, gute Leistungen bringen und diese dann in Prüfungssituationen nicht bestätigen können.

Ob dein Sohn die 4,5 statt der 5 gekriegt hat weil er ein Junge ist (gilt das als Entschuldigung? icon_wink.gif) und manchmal im Unterricht etwas sehr lebendig ist, wage ich zu bezweifeln. Wohl eher werden fachspezifische Dinge in die Notengebung eingeflossen sein, seine mündliche Beteiligung, seine Hausaufgaben usw.
Globi
Dabei seit: 30.07.2008
Beiträge: 2774
"Paps" schrieb:


Zur grossen Empörung steht aber auf der Vorderseite eine 4.5. Auf Rückfrage beim Lehrer heisst es, das sei halt, weil sich der Schüler nicht genügend am Unterricht beteilige.



Tja, auch im Kanton Zürich wird eine Note aus schriftlicher und mündlicher Leistung ermittelt. Wenn nun ein Kind das Gefühl hat, es müsse mündlich gar nicht mitmachen, kriegt es die Quittung. Dann werden Noten abgerundet oder es gibt sogar schlechtere Noten. Ist auch richtig so!

Und das auf der Rückseite hat nichts mit Noten zu tun!!! Auch ein erzschlechter Schüler kann lauter plus haben und ein sehr guter lauter minus. Dabei ist zu sagen, das ++ eigentlich gar nicht normal ist. Standard ist +.

Dein Sohn hätte ja die Möglichkeit, sich in anderen Fächern rege zu beteiligen icon_wink.gif

[Dieser Beitrag wurde 1mal bearbeitet, zuletzt am 30.08.2012 um 07:37.]
Nuvole
Dabei seit: 02.06.2007
Beiträge: 1743
@paps
Ich verstehe deinen Unmut. Bei zwei Kindern sehe ich, wie willkürlich das Ganze gehandhabt wird.

Wir sind auch im Kt. ZH zuhause, meine Tochter hatte in allen drei schweren M/U Prüfungen einen Sechser. Am Schluss aber ein 5-6 im Zeugnis. Begründung? Sie macht im Unterricht gut mit, müsste aber noch mehr Initiative einbringen, wenn sie alle Aufgaben schon gemacht hat.

Hey, hallo? Finde ich nicht, dass das eine Abrundung um eine halbe Note einbringt. Zudem frage ich mich, warum ich die Prüfungen unterschreiben muss, wenn die Note am Schluss doch wieder anders ist.

Dazu kommt, dass Ziel erreicht = 5 heisst. Es ist also gar nicht die Idee, dass das Kind alles 6er heimbringt. Muss es von mir aus auch nicht. Aber die Begründung der Lehrerin, wenn es mehrheitlich 6er sind, ist das Kind in der falschen Klasse, finde ich schon kurios.

Finde also FJN Ansatz, das Zeugnis sage mehr über die LP als die Schüler, ganz vernünftig! icon_lol.gif

[Dieser Beitrag wurde 1mal bearbeitet, zuletzt am 30.08.2012 um 08:04.]
Paps
ThemenerstellerIn
Dabei seit: 04.04.2011
Beiträge: 8
Ich danke Euch für die Antworten. @FJN: Dein Betrag ist ein wertvoller Denkanstoss, so hatte ich es noch gar nicht betrachtet. Vielleicht passt das ja damit zusammen: Die Note wird von einem Lehrer abgerundet, der schon mehrmals bei Prüfungen Aufgaben als falsch korrigiert hat, die richtig waren icon_redface.gif (@Nuvole: Darum müssen wir nicht nur unterschreiben, sondern dürfen jede Aufgabe kontrollieren ...).

@jeruscha: Du sprichst hier genau den wunden Punkt an. Mathematik ist ja eine exakte Wissenschaft. Entweder hat man das richtige Resultat oder das falsche. Das richtige Resultat hat der, der rechnen kann. Pädagogisch ist es fraglich, diese Fähigkeit mit Notenabzug zu bestrafen - ist ja auch nicht gerade motivierend.

Vielleicht zeigt die Problemstellung auch, dass es Sinn macht, mündliche und schriftliche Noten wieder zu trennen - so wie in der guten alten Zeit. Mehr Transparenz, weniger Willkür.
fisi
Dabei seit: 05.04.2007
Beiträge: 4066
"Paps" schrieb:


@jeruscha: Du sprichst hier genau den wunden Punkt an. Mathematik ist ja eine exakte Wissenschaft. Entweder hat man das richtige Resultat oder das falsche. Das richtige Resultat hat der, der rechnen kann.


das kann ich so nicht unterschreiben. mitunter wird bei vielen aufgaben nicht nur das nackte resultat, sondern auch der lösungsweg verlangt und benotet.

generell bin ich der auffassung, dass eine notengebung notwendig ist. sie vermittelt den wissensstand innerhalb einer gruppe und kann dann dazu dienen, sich bewusst zu werden, in welchen bereichen der prüfling das ziel erreicht oder wo er noch nachholbedarf hat. sie ist aber auch ein indikator für die lehrperson. vermittelt sie den stoff so, dass die schüler ihn verstehen - oder eben auch nicht.
bei der ganzen sache muss man sich jedoch auch bewusst sein, dass ein mensch, ein lehrer mitunter mit subjektiven masstäben misst, und somit das ergebnis, die noten, mit einer gewissen vorsicht oder toleranz betrachtet werden sollte.


befremdlich finde ich, dass man z.b. von imigranten erwartet, gar verlangt, dass sie sich in die unsrige gemeinschaft integrieren, sich anpassen.
von unseren kindern jedoch soll man das dann nicht mehr dürfen.
da ist was faul ...


Der Vorteil der Klugheit besteht darin, daß man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger.
GabrielaA
Dabei seit: 18.10.2002
Beiträge: 5446
fisis Antwort gefällt mir. Auch staune ich immer wieder, dass sich Eltern beklagen, ihr Kind hätte "nur" eine 5.5 und keine 6 im Zeugnis. Eine 6 steht für mich für 0 Fehler, für alles richtig, 100% tadellos. Wenn ein/e Schüler/in in einer Prüfung alles richtig hat, so verdient er/sie die 6. In einem Zeugnis, wo eine 6 steht, bedeutet das somit, das Kind hat immer alles 100% richtig gehabt, mündlich und schriftlich.

Auch staune ich immer wieder, wie viel Gewicht Eltern auf die Noten der Kinder legen. Ich notiere mir auch meistens die Prüfungsergebnisse meines Sohnes, aber einen genauen Schnitt kann ich nicht rechnen. Zum einen ist es immer Schuljahrüberschneiden, dh. 1 Monat vor Schuljahresende hatten sie div. Prüfungen, die bereits fürs neue Zeugnis zählen. Doch welche Noten exakt noch zählten, welche nicht, wurde uns (selbstverständlich) nicht mitgeteilt. Ebenfalls gibts auch mündliche Noten, die nicht immer mitgeteilt werden. In meinem Umkreis hat fast jedes 3. Kind ab der Unterstufe Nachhilfe Unterricht.
Paps
ThemenerstellerIn
Dabei seit: 04.04.2011
Beiträge: 8
"fisi" schrieb:
... mitunter wird bei vielen aufgaben nicht nur das nackte resultat, sondern auch der lösungsweg verlangt und benotet ...

Ja, klar und einverstanden, das ist so - und es geht sogar noch etwas weiter: Es soll auch antändig geschrieben sein, angemessen dargestellt, mit der richtigen Farbe und in der Geometrie auch mit dem Lineal.
Blue64
Dabei seit: 20.08.2003
Beiträge: 1456
Paps, Lehrer sind Menschen und Menschen sind fehlbar. 😉

Ich habe einen Sohn in der 5.Primar und einen in der 1.Sek - ich habe fähige und unfähige Lehrer kennen gelernt, bis hin zur offensichtlichen Willkur inkl.Mobbing, das dann zum Schulwechsel führte.

Eine Lehrerin sagt mir bei einem Elterngespräch "Ich gebe aus Prinzip keine Sechser im Zeugnis, denn für mich hiesse das, das Kind kann mehr als verlangt, und kann somit alles, aber das geht nie im Leben, man kann immer noch mehr lernen!" icon_eek.gif

Und ganz ehrlich: ich habe die Kreuzchen hinten immer extra ignoriert - diese zu setzen liegt in einem enormen Bereich der Subjektivität, Willkür und Sympathie, das finde ich sogar unglaublich frech, so komplexe Bereiche einfach durch ein paar Kreuzchen zu bewerten.
Und wenn einen Lehrerin meint, mein Kind könnte seine Arbeiten sauberer gestalten und ich aber weiss, es gibt sein Möglichstes, so interessiert mich dann das Kreuzchen am Rand so gar nicht.

Und die Noten bespreche ich mit den Kindern immer genau, aber sie wissen, dass sie nicht als Person bewertet wurden sondern die erbrachte Leistung in einem halben Schuljahr. Nicht mehr und nicht weniger.



Ich denke, also bin ich hier falsch !