Schaffung von Bildungsguthaben

KlaraM
ThemenerstellerIn
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Manchmal frage ich mich, ob unser Schulsystem nicht von Grund auf revolutioniert werden müsste. Die ganzen Therapien und Sondermassnahmen kosten derart viel Geld und der Erfolg ist häufig bescheiden. Starke Schülerinnen und Schüler bekommen hingegen viel weniger Förderung. Dem fehlt eine gewisse Logik. Im Sport beispielsweise werden ja auch nicht die Schwächsten am meisten gefördert. Später im Beruf ebensowenig: Die Stärksten erhalten die Chancen zur Weiterbildung, zum Aufstieg. Macht das System so Sinn? Ein Kind mit Sonderschulmassnahmen, die über die gesamte Schulzeit mehr als eine halbe Million Franken kosten, und am Ende arbeitet der Erwachsene dann in einer geschützten Werkstatt. Wäre das Resultat nicht auch mit weniger Förderung dasselbe?

Ich frage mich das ernsthaft, ob wir nicht falsch investieren. Eine alternative Möglichkeit wäre ein einheitliches Bildungsguthaben für die primäre und sekundäre Bildung, über das jeder verfügt und das je nach Bedürfnis eingesetzt werden kann. Das wäre auch eine Form von Bildungsgerechtigkeit. Eine andere als die, die heute gelebt wird, aber vielleicht eine mit mehr Outcome?

Wie seht ihr das? Andere Vorschläge oder findet ihr das jetzige System sinnvoll?
kaye
Dabei seit: 25.11.2009
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Ich sehe das nicht so. In die Leistungsstarken wird sehr viel investiert. Die Gymis sind Spitze und kostenlos, die Unis praktisch gratis und auch von hoher Qualität, international gesehen. Die meisten hochintelligenten Kinder haben eine gute Förderung von ihren gutgestellten Eltern. Und ich glaube auch, dass die Förderung für Schwächere ziemlich viel bringt, für die einzelnen Kinder und für die Gesellschaft als Ganzes. Die Anforderungen werden auch immer höher, es gibt zB. nicht mehr viele Stellen für Ungelernte. Es sieht daher ein bisschen so aus, wie wenn das heutige System keine Fortschritte bringt, aber ich glaube, ohne diese Förderung wären die Rückschritte gewaltig. Insgesamt gesehen, ist die Ungleichheit in Bezug auf die Verwendung von Steuergeldern immer noch zuungunsten der Schwächeren.
Aber ich glaube, dass unser System noch verbessert werden kann. Zum Beispiel sollte man mehr die Stärken fördern, bei jedem Kind, als an den Schwächen herumtherapieren. Es müsste dann aber auch Lehrstellen bzw. Berufsschulen geben, wo halt auf je nachdem auf Mathe oder Französisch oder Rechtschreibung verzichtet wird.
Und die Primarschule sollte besser auf die Chancengleichheit hinarbeiten, dh. die schulische Intelligenz auch derjenigen Kinder wecken, die von zuhause aus keine Unterstützung bekommen. Da würde ich versuchen, das Coaching/Teaching von der Beurteilung stärker zu trennen. Ein Kind sollte mehrere Jahre einfach wachsen und lernen dürfen, ohne schon ständig bewertet und verglichen zu werden. Dh. konsequent die Anstrengung belohnen, die relative Verbesserung, und jedes Kind lernt an seiner eigenen Schwelle, wo es noch herausgefordert, aber nicht überfordert ist. Also individualisierter Unterricht… es ist machbar, aber es braucht sehr gute Lehrpersonen dafür. Die Rahmenbedingungen müsste man nur wenig ändern (keine Noten, nur relative Bewertungen indem ersten 5 Schuljahren; Freifachsysteme für Früh-Fremdsprachen; keine Cockpit-Tests; moderne Lehrmittel mit abgestuften Aufgaben).
KlaraM
ThemenerstellerIn
Dabei seit: 01.03.2013
Beiträge: 1770
Ich habe mich vielleicht ungenau ausgedrückt. Ich meinte nicht unbedingt die Förderung von Hochbegabten, sondern eigentlich mehr, dass alle den gleichen Förderungsanteil bekommen. Den kann man dann ja auch für die Förderung der Stärken einsetzen, anstatt damit Schwächen "auszugleichen". Individuell.

"kaye" schrieb:


Ein Kind sollte mehrere Jahre einfach wachsen und lernen dürfen, ohne schon ständig bewertet und verglichen zu werden. Dh. konsequent die Anstrengung belohnen, die relative Verbesserung, und jedes Kind lernt an seiner eigenen Schwelle, wo es noch herausgefordert, aber nicht überfordert ist. Also individualisierter Unterricht… es ist machbar, aber es braucht sehr gute Lehrpersonen dafür. Die Rahmenbedingungen müsste man nur wenig ändern (keine Noten, nur relative Bewertungen indem ersten 5 Schuljahren; Freifachsysteme für Früh-Fremdsprachen; keine Cockpit-Tests; moderne Lehrmittel mit abgestuften Aufgaben).


Die ersten Vorschläge werden mit dem Lehrplan 21 ja verfolgt. Ich kenne das auch aus andern Ländern: anstatt Noten werden da die Kompetenzen ausgewiesen. Das ist auch greifbarer und zielorientierter und macht sicher mehr Sinn. Eigentlich geht das auch in die gleiche Richtung: warum die Energie und das Geld in etwas investieren, was dem Kind nicht liegt? Würde es nicht mehr profitieren, wenn man den gleichen Betrag in die Förderung seiner Stärken investiert, wo es damit dreimal mehr Fortschritte macht? Sollten wir uns nicht von dieser Nivellierungs-Erwartung verabschieden?
kaye
Dabei seit: 25.11.2009
Beiträge: 963
ich glaube nicht, dass der Fokus auf Kompetenzen eine Revolution ist (habe aber ansonsten nichts dagegen). Diese Kompetenzen werden ja weiterhin in tausend Tests überprüft, wie heute. Es müsste wirklich auf die Entwicklung statt auf das Ergebnis geachtet werden. Vielleicht meine ich eher, dass die schon erworbenen Kompetenzen nicht dauernd evaluiert werden sollen.
Und nein, ich glaube nicht, dass eine gleichmässige Verteilung von Bildungs-Geld gerechter wäre als das heutige System. Das vorhandene Geld wird effizienter nach Bedürfnissen verteilt, nicht nach dem Giesskannenprinzip. Es ist ja auch bei den Gesundheitskosten so… sonst dürfte jeder für 50'000.-Fr behandelt werden im Leben und danach ist Schluss.
KlaraM
ThemenerstellerIn
Dabei seit: 01.03.2013
Beiträge: 1770
"kaye" schrieb:

Das vorhandene Geld wird effizienter nach Bedürfnissen verteilt, nicht nach dem Giesskannenprinzip.


Genau das zweifle ich an: die Bedürfnisse. Würde man die Kinder nicht mehr aneinander messen (so wie du das vorschlägst), dann gäbe es auch keine gemeinsamen Lernziele mehr und alle hätten genau gleich viel Förderbedarf. Mit ganz unterschiedlichem Ausgang.

Die ganzen Massnahmen orientieren sich doch an den Leistungen der andern, nicht an den eigenen Bedürfnissen.
Man müsste aber einen Fixbetrag pro Jahr machen und einen Freibetrag für individuelle Förderung. Der Fixbetrag sichert dann die ganze Schulzeit mit Grundbeschulung (an einer Schule nach Wahl) und die Fördergelder könnten nach Bedürfnissen eingesetzt werden. Und ja: weg ist weg. Irgendwann reicht's ja dann vielleicht auch mal. Ausserdem kämen so alle Kinder in Genuss von individueller Förderung ihrer Stärken. Wäre doch eine faire Lösung. Und sicher weniger frustrierend.
Franz Josef Neffe
Dabei seit: 17.11.2006
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Wenn man ein Problem, lösen will, muss man erst einmal das Problem erkennen.
In unseren "Schulen" werden fast immer die verkehrten Probleme bearbeitet und folglich wird das tatsächliche nicht gelöst sondern nur größer dadurch.
Es fängt schon damit an, dass unsere Schulen keine Schulen sind sondern das Gegenteil davon. Wenn wir also diese Unterrichtsvollzugsanstalten verbessern oder gar revolutionieren, werden es nur bessere - oder revolutionierte - Unterrichtsvoillzugsanstalten und damit noch weniger Schulen.
Das müsste uns doch langsam einmal auffallen, wie es immer schlechter wird, wenn wir es immer besser machen.

Schauen wir doch einmal genau hin: In unseren Unterrichtsvollzugsanstalten werden doch gar keine schwachen SCHÜLER gefördert. Es sind ihre SCHWÄCHEN, die gefördert werden, und dafür müssen sich die Kinder den Fördermaßnahmen UNTERwerfen. Wie soll man hoch kommen, wenn man immer runter muss?
UNÜBERSEHBAR hoch kommen aber - bei diesem Umgang mit den Kräften - die Schwächen.
Die wachsen und wacvhsen und wachsen.
Man hätschelt und pflegt sie und steckt alle Energie in sie hinein.
Wie sollte da ein anderes Ergebnis möglich sein?

In der neuen Ich-kann-Schule kann man an Beispielen sehen, dass es ganz einfach auch genau andersherum gehen kann:
Statt in die Schwächen können wir die ENERGIE in die geschwächten STÄRKEN stecken und sie damit zum Wachsen bgringen.
Statt den Talenten mit dem Rotstift und immer wieder noch einem Test ständig unter die Nase zu rieben, für wie blöd wir sie halten, könnten wir uns einmal mit Hilfe unserer verkümmerten GEISTeskräfte ausmalen, wie GUT deren Entwicklung werden kann. Dann wüssten wir endlich mal etwas über Potentialwachstum statt über Potentialplattmachen.
Wenn wir selbst gute Möglichkeiten entdecken und uns daran erfreuen, könnte sich das durch Defizite, Schwächen und Abnormitätsglauben vergiftete Klima langsam wieder ins Erträgliche wandeln.

LEISTUNG kommt wie LERNEN & LEHREN von germ. LAISTI = DIE FÄHRTE.
Leistung + Lernen + Lehren ergibt sich durch das verfolgen von Fährten des Lebens, durch originale Erfahrung des Lebens - nicht durch Einfügen in tote Schablonen.
Es wird langsam Zeit, dass wir alle einmal aufwachen und damit aufhören, jede noch so unsinnige Papiervorgabe über Jahre und Jahrzehnte nachzubeten.
Der allergrößte Teil unserer sogenannten Förderung wäre schlicht überflüssig, wenn wir damit aufhören würden, Kinder vom Leben weg und auf künstliche Wege zu drängen, um sie derart pervers "aufs Leben vorzubereiten".
Unsere Erwachsenen selbst kennen die Wege des Lebens nicht mehr.
Und sie sind zu feige, sich das einzugestehen.
Stattdessen, gehen sie sehenden Auges ihre Irrwege weiter und zwingen Kinder, ihnen darauf zu folgen.
Im Zusammenbruch all dieser künstlichen Systeme, den wir gerade in allen Lebensbereichen erleben, bezahlen wir unsere Schuld und bekommen die Chance, wieder wirklich LEBEN zu lernen.
Da wünsche ich uns guten Erfolg; er ist möglich.

Franz Josef Neffe


"Wenn ich Sie in dem Irrtum lasse, dass ich es bin, der Sie gesund macht, dann mindere ich Ihre Persönlichkeit!" Émile Coué
jacqueline sommer
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Also ich kann dem Gedanken von KlaraM schon etwas abgewinnen.

Es ist tatsächlich so, dass auf den Schwächen "herumgereitet" und versucht wird, diese zu therapieren. Da kann es schon passieren, dass die Stärken (die ja jedes Kind auch hat) untergehen.

Ich bin absolut der Meinung, dass für die Schwachen sehr viel getan wird (ob mit Erfolg oder nicht), während starke Schüler - mindestens hier bei uns auf dem Land - keine Förderung erhalten. Ich habe ein hochbegabtes Kind. Förderung hat es absolut keine erhalten. Im Gegenteil, ich mag mich erinnern, dass in der 5. Klasse die Klassenlehrerin meinem Sohn sagte "ich weiss, dass du sehr viel weisst. Wir haben hier in der Schule aber keine Zeit dafür!!" Man stelle sich das mal vor! Ich war schockiert.

Mittlerweilen geht er ins Gymnasium und ist bald fertig damit. Gratis ist die Schule trotzdem nicht. Wir bezahlen Fr. 180.- Schulgebühr, o.k. ist nicht viel. Dazu kommt aber ziemlich viel Schulmaterial (vor allem Bücher) und letztes Jahr z. B. vier Auslandreisen (welche ohne Taschen-/Essensgeld zwischen 700.- und 1000.- kosteten). Ist eine normale öffentliche Schule! Aber dies nur nebenbei ...

Die Idee mit Bildungsguthaben finde ich wirklich nicht so schlecht, müsste aber sicher noch näher untersucht werden mit allen Vor- und Nachteilen.
Franz Josef Neffe
Dabei seit: 17.11.2006
Beiträge: 1021
Das Schockiertsein von Eltern über Lehreraussagen ist aber auch keine Hochbegabtenförderung für das Kind.
Dadurch kreieren sie ein neues Problem statt das alte zu lösen.

Es ist auch ein totaler Unterschied, ob a) die Schwächen oder b) die schwachen Stärken des Kindes gefördert werden.
In der Pädagogik schusselt man sich für gewöhnlich über alles hinweg.
Wenn ich sagte, dass man endlich was für Martins STÄRKEN tun sollte - seine Deutschleistung wurde stets mit "ungenügend" bewertet - sagte man mir: "Das tun wir doch eh. Er ist einseitig mathematisch begabt!"
Man stärkte also seine STARKE MATHESTÄRKE, die gar keine STÄRKUNG gebraucht hätte, und ließ die GESCHWÄCHTE Lese/SchreibSTÄRKE weiterhin verhungern.
So gehen wir mit Talenten um.
Es ist zu ungenau, einfach für das Kind was zu tun.
Wenn wir konkret Probleme lösen wollen, müssen wir für die Kräfte in ihm, die etwas brauchen, das tun, was sie brauchen.
Und wir sollten Kindern auch langsam mal deutlich machen, dass der Lehrern in der Schule nicht das Maß aller Dinge ist. Wenn einem jemand etwas Ungünstiges sagt, muss man dies keineswegs immer 1:1 übernehmen. Wir sollten mit unseren Kindern lernen, von Aussagen der Schule unabhängig zu werden.
Ich wünsche guten Erfolg.

Franz Josef Neffe



"Wenn ich Sie in dem Irrtum lasse, dass ich es bin, der Sie gesund macht, dann mindere ich Ihre Persönlichkeit!" Émile Coué
ibex
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Beiträge: 546
Es gibt zwei Theorien zur Bildung. Die eine ist die Fachbildung in der man gezielt etwas lernt was man zur Ausübung einer Tätigkeit benötigt und auch zu 100% beherrschen muss. Die andere ist das was während des Prozesses der Bildung in und mit uns selber geschieht. Es ist die Reifung der Persönlichkeit zu dem Menschen mit den Eigenschaften, Ansichten und Wertvorstellungen die uns ausmachen. Von dem was wir in der Primarschule und der Oberstufe gelernt haben ist bei Erwachsenen höchstens noch ein einstelliger Prozentsatz abrufbereit! (ist wirklich so)
Bildung ist daher sowieso etwas ganz anderes als das was wir meinen und wie es in der heutigen Schule mit Prüfungen und der konsequenten Ausrichtung darauf, was nach kurzer Frist noch abrufbereit ist. Starke Schüler zeichnen sich oft darin aus Stoff schnell zu lernen und auch schnell wieder zu vergessen, damit wieder Platz für neues vorhanden ist, was aber weder eine Fachbildung noch eine Persönlichkeitsbildung beinhaltet.
Smile79
Dabei seit: 07.04.2009
Beiträge: 2397
Chancengleichheit gibt es nicht - und wird es nie geben.

Ich bin sowieso der Meinung, dass das "Zwischenmenschliche" einen viel grösseren Stellenwert hat - für die Zukunft - als das investierte "Geld".

Wichtig finde ich ein gesundes Selbstbewusstsein, realistische Ziele, Problemlösung und der Wille.

Das kann man nicht "budgetieren" - nur so nebenbei, in den USA... (so habe ich es irgendwo gelesen - doch keine Ahnung wo?).... wird Resilienz (Widerstandskraft) gelehrt.... sich seinen Stärken und Schwächen bewusst sein, diese akzeptieren und das Beste daraus zu machen.

lg