@bubble36
Es ist ganz klar, dass idealerweise die Eltern "einsichtig"sind und die Arbeit mit dem Kind unterstützend begleiten. Genau so klar ist es, dass viele Eltern nicht gewonnen werden können, da sie selber die Einsicht nicht haben. Das Verhalten des Kindes wird als "normales Buben-Kräftemessen", als "ein rechter Junge zeigt seine Kraft" oder ähnliches bezeichnet.
So zeigt sich denn auch die Problematik, mit "diesen Jungs" ins Gespräch zu kommen und mit ihnen arbeiten zu können.
Vordergründig sind sie die Macker und starken Kerle. Niemals würden sie sich eingestehen, dass sie sich gegen die Regeln verhalten. Sie sehen es als ihr Grundrecht, ihre Bedürfnisse mit Worten und Fäusten einzufordern.
Tatsache ist, dass diese Jugendlichen massive grundlegende Defizite haben (ich verallgemeinere der Einfachheit wegen):
- sie kennen nur zwei Gesichtsausdrücke: neutral und wütend
- sie kennen, dass das Einfordern von Rechten mit Gewalt geschieht (sie erfahren zu Hause Gewalt)
- echt gemeintes Lob kennen sie nicht
- ihre Familie ist sozial nicht/kaum integriert
- sie haben schulische Defizite
- sie haben kaum Selbstwert
- sie haben ein ungenügendes Bindungsverhalten zu den Eltern
-...
Wenn ich mit "diesen Jungs" arbeiten kann, sind für mich folgende Dinge wichtig:
- ich nehme sie als Menschen ernst
- ich respektiere ihre "Geschichte" und nehme diese ernst
- ich verurteile ihr Verhalten
--> ja, sie haben schon vieles erlebt, wofür sie nichts können - für ihr Verhalten aber, können und müssen sie die Verantwortung übernehmen.
Entsprechend arbeite ich mit ihnen:
- lernen von Emotionen (Gesichter erkennen)
- aufarbeiten ihrere Geschichte, Trost geben, Zuhören, Vertrauen schaffen
- das Aufarbeiten schafft direkte Verbindungen zu ihrem Verhalten. Wenn sie diese Zusammenhänge erkennen, werden sie handlungsfähig
- erarbeiten von Strategien, wie sie diese Handlungsfähigkeit umsetzen können (Antiagressionstraining, Arbeit mit kognitiven Verzerrungen,...)
Ich plädiere dafür, dass ein unterschwelliges Angebot in der Schule/Gemeinde vorhanden ist. Schulsozialarbeit wäre die Anlaufstelle, meine Erfahrung ist jedoch die, dass diese Stellen "zu wenig hart/konsequent" sind. Vielleicht fehlt ihnen auch das nötige know-how, ich weiss es nicht. Es ist jedoch klar, dass "diese Jungs" schlicht überfordert sind, sie befinden sich in einem luftleeren Raum. Sie benötigen enge Grenzen, eine enge Begleitung.
Wenn ich mit ihnen arbeite, befinden sie sich bereits in einem Zwangskontext - sie sind verpflichtet. Meine Erfahrung ist, dass der Widerstand zu Beginn recht gross ist. Wenn ich dem Gegenüber zu verstehen gebe, dass ER/SIE mir wichtig ist, dann bröckelt der Widerstand recht schnell. Anschliessend wird eine spannende Arbeit möglich.
Und klar - es gibt auch die, bei denen "Hopfen und Malz" verloren ist. Die uneinsichtig sind. Die unverbesserlich sind.
Du fragst betreffend dem Einfluss des Umfeldes: die Peers sind die wichtigsten! Doch "diese Jungs" lernen abzuschätzen, ob sie diesen Umgang weiter pflegen können oder ob sie ihn besser meiden. Bis anhin waren sie durch die Peers stark - das Ziel ist, dass sie durch sich stark sind

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(Verallgemeinert) Auf Elternseite würde ich mir wünschen, dass jedes Kind mit all seinen Stärken und Schwächen ernst genommen wird. Dass kein Kind einer Form von Gewalt ausgesetzt ist. Das Eltern den Mut haben, ihrem Kind Grenzen zu setzen. Das Eltern den Mut haben, ein Verhalten des Kindes zu verurteilen. Dass die Meinung des Kindes gehört und ernst genommen wird. Das jedes Kind eine liebevolle, ermutigende und Grenzen setzende elterliche Begleitung erleben darf.
(Verallgemeinert) Von Schulseite her wünschte ich mir engere Strukturen im Schulalltag. Engere Zusammenarbeit mit Begleitpersonen für auffällige Kinder.
Man mag sich jetzt fragen, warum ich mich so auf die "Täter"-Seite stelle. Ich schätze die herausfordernde Arbeit mit ihnen. Es ist mir ein Anliegen, eine Veränderung bei diesen Personen hervorrufen zu können, damit sie keine neuen Opfer generieren. Ich denke, dass ich da einen Einfluss haben kann, den Kreislauf zu unterbinden.
Wisse immer was du sagst, aber sage nicht immer, was du weisst.