Meine grösste Angst war es immer gewesen, dass meine Kinder meine Dyskalkulie einmal erben werden. Gott sei Dank hat sich diese Angst als unbegründet erwiesen. Denn als selber Betroffene erinnere ich mich mit Schaudern an meine eigene Schulzeit zurück. Mal ganz abgesehen davon, dass schon das Wort Dyskalkulie damals nicht weiter bekannt war, hat mir dieses Übel meine gesamte Schulkarriere vermiest
Dank der guten Noten in den anderen Fächern konnte ich mich mehr schlecht als recht durchmogeln. Aber in der fünften Klasse war einfach endgültig Schluss mit lustig, es gab endlich eine Abklärung. Ich habe es dann schwarz auf weiss bestätigt gekriegt: Die Schülerin ist faul, frech und aufsässig, will immer im Mittelpunkt stehen und stellt sich deshalb beim rechnen extra dämlich an, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Dass dem so ist, beweist ja der Umstand, dass die Noten in den anderen Fächern überdurchschnittlich hoch sind....
Paff, da wusste ich es! Man hat mich dann viele Jahre mit Mathenachhilfe geplagt, Resultat: Unternull. Ans Gymi habe ich es zwar noch geschafft, an eine Matur war aber mit meinen Rechenkünsten absolut nicht zu denken.
Erst mit über 20 Jahren erfuhr ich von meiner Dyskalkulie. Ich habe viel darüber gelesen und mir sind dabei die Kronleuchter gleich Reihenweise aufgegangen. Zum Beispiel ist es wirklich so, dass ein Dyskalkuliker die Zahlen in Bildern denkt. Wenn ich rechne, dann sausen vor meinem inneren Auge seltsame Bilder vorbei (z.B ein blauer Hase und ein Sigrist im Rollstuhl ist die Rechnung 92+15, ausser der Sigrist schiesst auf den Hasen, dann heisst es 92+155. Ich weiss, leicht schräg, funktioniert aber recht gut)
Lustigerweise bin ich heute in einem Beruf tätig, wo durchaus mit grossen Zahlen jongliert wird. Das ist aber überhaupt kein Problem. Erstens liiiiebe ich meine Exeltabelle und zweitens habe ich überall im Haus Taschenrechner griffbereit liegen. Denn der Rechnungsweg ist für einen Dyskalkulker nicht das Problem, sondern nur die eigentliche Zahlenbeigerei.
Meinen Tipp für dich und dein Kind: So schnell wie nur irgendwie möglich abklären lassen! Ohne genaue Diagnose ist und bleibt die Schule ein Gewurstel. Sollte die Diagnose wirklich Dyskalkulie heissen (und NICHT Rechenschwäche, das ist nicht das gleiche!) Hände weg von endlosen Zusatzlektionen oder Nachhilfe. Das wäre ungefähr so, wie wenn du einen Blinden zur Legatherapie schicken würdest mit der Hoffnung, dass er die Buchstaben dann irgendwo schon mal begreift.
Was mir am allermeisten geholfen hatte, das war die Erfindung dieser kleinen Taschenrechner gewesen. Ich hatte immer einen im Etui und rechnete heimlich damit. Wenn dein Kind endlich vom Kopfrechnen befreit wird, dann kann es sich auf alles andere Konzentrieren, Lösungswege, Funktionen, Zahlenräume, alles alles begann Sinn zu machen, nachdem ich mich vom Kopfrechnen verabschiedet hatte.
Ich weiss, Pädagogen stehen bei solchen Aussagen die Haare zu Berge (ausser vielleicht eine meinem alten Mathelehrer, der hatte eine Glatze) Das Problem ist, dass sich diese Leute unter Dyskalkulie einfach nichts vorstellen können und mit ihren oft gut gemeinten Therapien oft mehr verschlimmern als bessern.
Und: Setzte dich ein für deine Tochter! Das wichtigste was sie braucht, sind Erwaschsene, die hinter ihr stehen. Ein Kind kann sich selber nicht gegen die Maschinerie von Schule und Psychologen behaupten. Es braucht in jedem Fall eine Rückenstärkung von deiner Seite.