Ich denke, wir müssen unterscheiden zwischen Gleichberechtigung im Privatleben und Gleichberechtigung in der Berufswelt und dem öffentlichen Leben.
Ungleichberechtigung aus rechtlicher Sicht ist vom Gesetz her beseitigt (mal abgesehen vom Militärdienst). Jetzt müssen wir uns nur noch für die vollständige Durchsetzung dieser Gleichbehandlung einsetzen. Klar ist das ein Riesen-Fortschritt zum letzten Jahrhundert, aber Gleichberechtigung nicht "Nicht mehr so Ungleichberechtigung wie früher" sind zwei Paar Schuhe.
Neben der Lohnungleichheit gibt es andere Formen der Diskriminierung im Beruf. Wenn den Äusserungen von Männern in Sitzungen beispielsweise mehr Gewicht zugemessen wird. Mehr Förderung, die Nicht-Berücksichtigung bei einer Einstellung oder eine Beförderung. In manchen Firmen läuft das im Moment aber eher darauf hinaus, dass man die Frauenquote erhöhen will und bei gleicher Eignung eher die Frau die Stelle erhält (eher im oberen oder obersten Kader der Fall). Aber es gibt sicher auch noch kleinere Firmen, wo von Mitarbeiterinnen auch mal erwartet wird beim Apéro mitzuhelfen oder einen Kaffee zu servieren, NUR von den Mitarbeiterinnen. Zum Beispiel.
Und dann gibt es klare Diskriminierung, die sich nachweisen lässt. Mir ging es letztes Jahr so: Ich wurde für eine Beförderung/neue Aufgabe nicht berücksichtigt, obwohl man mich anfangs angefragt hatte und ich alle Qualifikationen mitbrachte. Ein etwas jüngerer Mann wurde eingestellt, der klar weniger qualifiziert ist. Und jetzt kann ich euch sagen, wie man sich fühlt, wenn man im Gespräch mit dem Chef sitzt und er einem ins Gesicht sagt: "Du bringst alles mit, was es braucht, du bekommst in Zukunft vielleicht einen solchen Job, du musst nichts verbessern. Wir wollten einfach einen Mann." Fadengrad ins Gesicht. Dann sitzt du da und bist betroffen. Sprachlos. Hilflos. Wütend. Meine Arbeitsleistung hat jeden Wert verloren, denn sie spielt keine Rolle mehr, wenn sie nicht als Kriterium gewichtet wird, sondern das Geschlecht entscheidet. Das eine ist, dass du denkst: Ja spinne ich denn? Kann ein Mann irgendetwas davon besser als ich, nur aus der Tatsache heraus, dass er ein Mann ist? Und das zweite ist Hilflosigkeit, denn daran kann ich nichts ändern. Ich kann mich anstrengen, wie ich will ich bleibe eine Frau.
Die Gefühle, die in dem Moment über dich hereinbrechen, sind wie eine riesige Welle und du bist machtlos, ausgeliefert. So geht es wohl jedem, der diskriminiert wird, sei es aufgrund seiner Nationalität, seines Geschlechts, seiner sexuellen Orientierung, seiner Religion, seiner Hautfarbe.
Und ja, Gleichberechtigung ist noch ein Thema, auch in der Arbeitswelt. Wenn mir das passiert, dann passiert das anderen auch, auch wenn wohl nicht jeder Chef oder jede Chefin so saudumm ist, das direkt so zu formulieren.