Vor Jahren wohnte ich direkt neben einer Kirche, in deren Turm die zweitgrösste Glocke der Schweiz hängt. Da meine Wohnung im fünften Stock lag, hatte ich also freie "Sicht" auf das riesige Ding. Ich sage dir, am ersten Sonntagmorgen in dieser Wohnung, ich wollte nach dem Zügelstress vom Samstag friedlich ausschlafen, ging es um halb neun los, das ganze Kirchengeläute - mich hat es beinahe aus dem Bett geschellt! Die Fensterscheiben vibrierten leise, ja der ganze Block, ein alter Plattenbau, schien mitzuläuten!
Aber das war ja nur das Vorgeläut gewesen...eine Viertelstunde später wurde zusammengeläutet, 15 Minuten lang, das selbe Spiel noch einmal um elf und abends um sechs Uhr. Kamen dazu Vorabendgottesdienste, Beerdigungen, Hochzeiten, Maiandachten etc, das volle Programm.
Schon nach zwei Wochen in dieser Wohnung höhrte ich schlichtweg NICHTS mehr von diesen Glocken. Sie waren einfach da, nett, hat sich. Wenn man sich nicht darüber ärgert, dann stört das auch nicht. Und der Viertestundenschlag in der Nacht, der ist super. Da ich sehr kurzsichtig bin, muss ich Nachts immer schnell die Brille aufsetzen, um die Uhrzeit vom Wecker ablesen zu können. Da ist es doch viel einfacher, einfach schnell in die Nacht zu horchen und die Stundenschläge zu zählen.
Einmal hatte ich einen Alptraum: Mein Bett rutschte von der Erdkugel runter und ich plumpste ins bodenlose Nichts. KREISCH! Da hörte ich plötzlich tief aus dem Universum das vertraute "DING-DONG!" der Kirchenglocken, an dem ich mich ganz leicht orientieren konnte. Gott sei Dank, die Erde hatte mich wieder!
Und heute? Ich wohne in einem Dorf ohne Kirche. Hier ist es Nachts so ruhig, dass man wirklich davon Alpträume bekommen kann

Wenn am Sonntagmorgen der Ostwind bläst, kann man die Glocken vom Nachbarort hören. Für mich hat das immer etwas sehr Beruhigendes an sich.