Moderatorin Hanna
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Blog von Reto Hunziker am 3. September 2015
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Die Zahnarzt-Praxen scheinen keine Folterkammern mehr zu sein. Aber damit auch keine Lernstätten.
Wir sagen immer: «Ben, putz deine Zähne. Das ist wichtig. Sonst kriegst du Löcher. Und musst zum Zahnarzt.» Unnötig zu erläutern, dass die guten Ratschläge an Ben meist abperlen wie Regen an der Lastwagenplane. Kürzlich musste er dann wirklich zum Zahnarzt, obschon es nicht seine Schuld war: Einer der wenigen verbleibenden Milchzähne wurde von seinem Nachfolger derart geschoben, dass er zersprang. Hauptsache Zahnarzt, dachte ich mir, der unvermeidliche Besuch wird Ben hoffentlich dazu motivieren, es nicht zu weiteren, vermeidlichen Besuchen kommen zu lassen. Wäre Ben mein eigener Sohn, hätte ich wahrscheinlich etwas mehr Mitgefühl gezeigt und gehofft, dass die Prozedur so untraumatisch wie möglich für ihn würde. Aber eben, ich bin Stiefvater und wittere umso häufiger eine Möglichkeit, Ben nicht selbst erziehen zu müssen. Unangenehmer Zahnarztbesuch, Angst vor dem Zahnarzt, gelernte Lektion: lieber Zähne putzen. Es ist doch viel angenehmer, wenn sich die Dinge selbst regeln. Und haben wir alle es nicht auch so gelernt?
Doch natürlich kam es anders. Ben kehrte vom Zahnarzt zurück, ohne Zahn, ohne Schmerzen, ohne pädagogisch wertvolle Lektion. Denn, so erzählte er begeistert, im Zahnarzt-Stuhl habe er fernsehen können. Zur Betäubung gab es keine Spritze, sondern ein gefühlshemmendes Gel. Der einzige Wermutstropfen war gemäss Ben, dass die Operation so schnell vorbei war, dass er nicht einmal eine ganze Folge «Tom & Jerry» schauen konnte. Oh weh! Nicht mal auf die zahnärztliche Abschreckung ist mehr Verlass. Wohin soll das bloss noch führen? Kinder, die gerne zum Zahnarzt gehen? Verweichlichung der Jugend? Totale Anarchie?
Sehen wir die Sache mal nüchtern: Aus mir spricht natürlich der pure Neid. Das haben wir doch immer gewollt – dass der Gang zum Zahnarzt kein Albtraum mehr ist. Dass wir keine Angst davor haben müssen, weil wir keine Schmerzen erleiden werden. Ach, wie toll wäre das gewesen, hätte es TV und Gel bei den Dr. Med. Dent.s schon gegeben, als ich noch Kind war. Nicht, dass ich panisch gewesen wäre, dafür musste ich viel zu oft zum Zahnarzt, nicht wegen Löchern, aber wegen all den Spangen, Head-Gears und Weissheitszähnen. Wie auch immer, diese Sitzungen gelassen nehmen zu können, das erforderte einen langen Prozess. Einen Lernprozess. Und der soll jetzt gar nicht mehr nötig sein? Irgendwie schade. Für mich. Aber natürlich sehr schön, für alle anderen. Oder doch nicht? Eines ist nämlich klar, wenns beim Zahnarzt plötzlich nicht mehr schlimm ist: Als Druckmittel taugt er dann überhaupt gar nichts mehr.
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Du kannst den Blog auch online lesen unter http://www.wireltern.ch/artikel/blog-zum-zahnarzt-aber-gerne
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Die Zahnarzt-Praxen scheinen keine Folterkammern mehr zu sein. Aber damit auch keine Lernstätten.
Wir sagen immer: «Ben, putz deine Zähne. Das ist wichtig. Sonst kriegst du Löcher. Und musst zum Zahnarzt.» Unnötig zu erläutern, dass die guten Ratschläge an Ben meist abperlen wie Regen an der Lastwagenplane. Kürzlich musste er dann wirklich zum Zahnarzt, obschon es nicht seine Schuld war: Einer der wenigen verbleibenden Milchzähne wurde von seinem Nachfolger derart geschoben, dass er zersprang. Hauptsache Zahnarzt, dachte ich mir, der unvermeidliche Besuch wird Ben hoffentlich dazu motivieren, es nicht zu weiteren, vermeidlichen Besuchen kommen zu lassen. Wäre Ben mein eigener Sohn, hätte ich wahrscheinlich etwas mehr Mitgefühl gezeigt und gehofft, dass die Prozedur so untraumatisch wie möglich für ihn würde. Aber eben, ich bin Stiefvater und wittere umso häufiger eine Möglichkeit, Ben nicht selbst erziehen zu müssen. Unangenehmer Zahnarztbesuch, Angst vor dem Zahnarzt, gelernte Lektion: lieber Zähne putzen. Es ist doch viel angenehmer, wenn sich die Dinge selbst regeln. Und haben wir alle es nicht auch so gelernt?
Doch natürlich kam es anders. Ben kehrte vom Zahnarzt zurück, ohne Zahn, ohne Schmerzen, ohne pädagogisch wertvolle Lektion. Denn, so erzählte er begeistert, im Zahnarzt-Stuhl habe er fernsehen können. Zur Betäubung gab es keine Spritze, sondern ein gefühlshemmendes Gel. Der einzige Wermutstropfen war gemäss Ben, dass die Operation so schnell vorbei war, dass er nicht einmal eine ganze Folge «Tom & Jerry» schauen konnte. Oh weh! Nicht mal auf die zahnärztliche Abschreckung ist mehr Verlass. Wohin soll das bloss noch führen? Kinder, die gerne zum Zahnarzt gehen? Verweichlichung der Jugend? Totale Anarchie?
Sehen wir die Sache mal nüchtern: Aus mir spricht natürlich der pure Neid. Das haben wir doch immer gewollt – dass der Gang zum Zahnarzt kein Albtraum mehr ist. Dass wir keine Angst davor haben müssen, weil wir keine Schmerzen erleiden werden. Ach, wie toll wäre das gewesen, hätte es TV und Gel bei den Dr. Med. Dent.s schon gegeben, als ich noch Kind war. Nicht, dass ich panisch gewesen wäre, dafür musste ich viel zu oft zum Zahnarzt, nicht wegen Löchern, aber wegen all den Spangen, Head-Gears und Weissheitszähnen. Wie auch immer, diese Sitzungen gelassen nehmen zu können, das erforderte einen langen Prozess. Einen Lernprozess. Und der soll jetzt gar nicht mehr nötig sein? Irgendwie schade. Für mich. Aber natürlich sehr schön, für alle anderen. Oder doch nicht? Eines ist nämlich klar, wenns beim Zahnarzt plötzlich nicht mehr schlimm ist: Als Druckmittel taugt er dann überhaupt gar nichts mehr.
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Du kannst den Blog auch online lesen unter http://www.wireltern.ch/artikel/blog-zum-zahnarzt-aber-gerne